Vampire Tales

Viel zu spät wachte Jen wieder auf. Die Sonne ging schon wieder unter, nun hatte sie tatsächlich schon einen ganzen Schultag verpasst! "Wenn das so weitergeht werde ich irgendwann selbst zum Vampir..." Sie versuchte aufzustehen, schwankte jedoch und hielt sich an der Bettkante fest. Sie hatte völlig vergessen, dass sie heute morgen fast ihr ganzes Blut verloren hatte. An einer Wand in der Nähe der Tür zog Dean Jen's Aufmerksamkeit auf sich. Sie konnte nicht ganz feststellen, ob er schlief oder wach war. Möglichst leise rappelte Jen sich auf und lief zur Tür.

Keine Ahnung wie lange Dean in dieser Position verharrte, jedoch war es eine lange Zeit und er hatte keine Lust und Kraft, sich zu bewegen. Als Jen sich regte und leise zur Tür ging, hob Dean den Blick der geröteten Augen. "Alles okay?" fragte er leise, starrte sie an und stieß dann die Luft auf. Er musterte sie kurz, ihre blasse Haut und ihre geröteten Augen, auch ihre wirren Haare fielen ihm auf. Dumme Frage, ob alles in Ordnung war. Nichts war in Ordnung. Weder mit beiden, noch zwischen ihnen.

Jen sah wieder rüber zu Dean, wie er da hockte und sie ansah. Er sah nicht sehr gesund aus, aber das war ja auch kein Wunder. Sie versuchte, freundlich zu wirken, lächelte und nickte, obwohl eigentlich jeder sofort merkte, dass sie Dean nur etwas vormachte. Sie verließ das Zimmer und holte sich ein Glas Wasser, damit ihr Körper das fehlende Blut schnell auffrischen konnte. Dean brachte sie auch eins mit. Oben überreichte sie es ihm und schwankte zurück zum Bett.

Dean reagierte auf Jens Geste nicht, blieb einfach sitzen und sah ihr kurz hinterher, bevor er wieder auf den Boden starrte. Als sie zurückkam und ihm das Wasser reichte, stellte er das volle Glas einfach weg, ohne darauf zu achten, ob etwas Wasser überschwappte oder nicht. "Soll ich gehen?" fragte er, ohne sie anzusehen. Dieser Blick war bei dem Vampir relativ ungewohnt, trotzdem war es ihm egal. Inzwischen dachte er, es wäre besser gewesen, jemand hätte sie direkt getötet - denn so leicht konnte er die Sucht nicht ablegen.

Jen wartete kurz mit der Antwort. ,,Wenn du willst...", antwortete sie dann. ,,Du musst ja auch jetzt gleich zur Schule." Sie drehte den Kopf weg und sah aus dem Fenster, wo die Sonne gerade hinter den Bäumen des umliegenden Waldes verschwand.

"Schule... Tze." meinte er und hievte sich hoch, dann warf er ihr einen Blick zu. "'Kay." Er drehte sich zur Tür, versuchte zu verbergen, dass er kaum mehr Kraft hatte und irgendetwas ihn schwächte, dann drückte er die Tür auf und warf sie - etwas zu laut - hinter sich zu. In den Gängen war kaum was los, trotzdem flogen ihm einige Blicke entgegen. "Was?" knurrte er tief und trat ein paar Schritte nach vorn. Auch die anderen hier schienen zu merken, dass etwas nicht stimmte, denn eigene Blicke sahen etwas besorgt aus. "Hah." Er hielt sich an der Wand fest, senkte den Blick zum Boden und konnte noch ein aufgeregtes "Was hat er denn?" hören, dann klappte er schon weg und stieß mit dem Kopf gegen Jen's Zimmertür, bevor er den Boden traf.

Jen wollte grad einen Schluck trinken, als sie durch den Lärm an der Tür aufgeschreckt wurde. Sie sprang auf und stolperte zur Tür, hielt sich kurz an der Klinke fest, bevor sie öffnete. Sie erschrak, als sie Dean vor sich liegen sah. Kurz stand sie da wie versteinert, als sie merkte, dass ihr schwindelig wurde. Schnell fing sie sich wieder und dachte nach, dann packte sie Dean unter den Armen und zog ihn ins Zimmer zurück. ,,Ich glaube, die Schule muss für dich heute auch ausfallen.", murmelte sie, dann nahm sie Deans Glas, hob seinen Kopf ein bisschen an und flößte ihm das Wasser ein.

Dean spürte, wie er über den Boden gezogen wurde und wie sein Kopf schließlich angehoben wurde. Er hustete, als das Wasser in seinen Mund floss, und verzog die Mundwinkel. Er knurrte leise, zuckte mit den Fingern, dann krampfte er sich zusammen. Es fühlte sich an, als hätte jemand seine Muskeln betäubt, und so fühlte sich Dean auch. "Lass-" stieß er knurrend aus und schob Jen leicht von sich weg. Er war sich sicher, dass er sie in diesem Zustand bestimmt wieder angreifen würde.

Jen ließ sofort von Dean ab, als er es ihr befiel. Das Glas Wasser stellte sie zur Seite, sie hockte sich hin und beobachtete den Vampir. ,,Geht's wieder? Was ist denn passiert?", fragte sie ihn, obwohl offensichtlich war, was passiert ist. Er war zusammengebrochen. Aber warum?

Dean verschränkte die Arme überm Gesicht und stieß zitternd die Luft aus. Er wusste ja selbst nicht, was los war, wie sollte er es auch beantworten? Ausser ein Knurren antwortete er nichts auf Jen's Fragen, verharrte bewegungslos und rümpfte die Nase, während sich seine Gedanken zu ordnen versuchten. Er war also zusammengebrochen, geschwächt. Seid wann? Seid dem Blutrausch. Normalerweise stärkte das Blut ihn, ganz besonders wenn es frisches war. "Du..." er brach ab und schluckte, dann legte er die Arme neben seinen Körper. "Du bist ein g-ganz normaler Mensch?"

Jen schwieg ein ganzes Stück, die einzige Antwort die sie gab, war ein kurzes Nicken. Meinte er etwa, IHR Blut hätte das verursacht? Wenn das so war, durfte er aber nicht mehr von ihr trinken, doch ob er das schaffte...? Vielleicht vertrug er einfach kein menschliches Blut. Das wäre eine Erklärung, aber ein Vampir mit einer Blut-Allergie?

Dean schloss nach ihrem knappen Nicken kurz die Augen, seufzte und legte eine Hand auf seinen Bauch. Dass er auf dem Boden lag, kümmerte ihn wenig, auch dass im Flur ein paar andere auf und ab gingen, interessierte ihn nicht. "Okay..." Wieder überlief ihn ein Zittern und er stieß sich den Kopf am Boden. Wo wollte er jetzt seine Kraft herbekommen? "Kannst du... mir Blut b-besorgen?" murmelte er. Das verlangen nach ihrem Blut stieg wieder, jedoch konnte er es noch aushalten und schwieg über diese Tatsache.

Jen rührte sich nicht. Als erstes hatte sie an ihr eigenes gedacht, aber Dean hat extra darauf geachtet, nicht auf ihr eigenes anzuspielen. Sie nickte nur stumm, während langsam der Mond das dunkle Zimmer erleuchtete. Sie stand auf und ging nach unten, ihre Mitbewohnerinnen sahen sie nur schweigend an.
Unten sah Jen noch einmal zu ihrem Fenster hinauf. Sie war noch nie so spät draußen unterwegs gewesen, andererseits waren jetzt alle in der Schule und sie wusste, dass die Abendcafeteria von einem Dämon geleitet wurde. Dämonen haben eigentlich nichts mit Menschen zu tun, was Jen eigentlich von Vorteil wäre, trotzdem machte sie sich Gedanken. Aber das musste jetzt nicht sein. Schweigend machte sie sich auf den Weg zum Schulgebäude.

Dean fuhr sich angestrengt mit der kalten Hand durchs Gesicht. Wäre er ein Mensch, das wusste er, dann würde seine Haut jetzt auflammen und höchstwahrscheinlich hätte er Fieberträume. Er starrte an die Decke, wartete, und hörte auf die Schritte draussen im Flur.

Jen eilte zur Cafeteria, darauf bedacht, nicht wie einmal wieder hinzufallen und alle möglichen Kreaturen anzulocken. Sie kam sich den Kopf haltend am Tresen an und fragte nach einem frischen Beutel Blut. Der Dämon an der Theke sah sie verwundert an. ,,Bist du nicht ein Mensch?", fragte er, holte aber den Beutel aus der hinteren Kammer. ,,Äh... nein, ich tarne mich nur als einer. Bitte sagen sie es keinem!" Sie nahm den Beutel, warf ein paar Münzen auf den Tresen und verschwand so schnell es ging.
Vor der Cafeteria lief Jen wieder langsamer. Sie drehte den Beutel um und las, was da stand.
GEMISCHT
Reinstes Rinderblut abgeschmeckt mit ein paar Tropfen Blutes Rehkälber, verfeinert mit dem Geschmack von Menschenblut.
Jen hielt kurz inne, dann entdeckte sie das Kleingedruckte darunter:
Aus dem Aromafläschchen getropft.

Dean schnaubte leise, legte sich wieder den Arm über die Augen und runzelte die Stirn. Selbst das Mondlicht schien ihn zu blenden und er fühlte sich furchtbar - Körperlich sowie geistlich. Er konnte fast hören, wie Jen sich näherte, auch wenn diese sich bestimmt weit entfernt war. Er hievte sich hoch, fiel aber wieder zurück und knallte erneut mit einem Schnauben auf den Boden. Dieser Zustand machte ihn aggressiv und auch seine Wahrnehmung war etwas verzerrt. Mit dem Fingernagel kratzte er über den Boden, den aggressiv wirkenden Blick an die Decke gerichtet.

Jen stürmte in die Hütte und kam ins Zimmer. Das fehlende Blut machte sich wieder bemerkbar, sie kümmerte sie aber nicht weiter drum. Sie nahm eine Schere und schnitt den oberen Teil des Beutels ab, da bemerkte sie Deans wütenden Blick und zögerte. Dann schüttelte sie den Kopf und überreichte ihm vorsichtig den Beutel mit dem Blut.

Dean zuckte nicht mit der Wimper, als Jen zurück in das Zimmer stürmte. Er nahm den Beutel mit dem Blut entgegen und trank ihn in wenigen Schlucken aus, dann legte er seinen Arm erneut über seine Augen und knurrte. "Hast... du mich v...vergiftet?" brachte er zitternd hervor, während sein Körper wieder zu beben began. Natürlich könnte er zur Schulärztin gehen, um sich abchecken zu lassen, doch dann würde er riskieren, geschnappt zu werden und von der Schule zu fliegen - ausserdem mochte er diese Verhätschelung nicht. Den leeren Beutel ließ er neben sich auf den Boden fallen, ein paar Tropfen quollen heraus und bildeten eine kleine Lache.

Erschrocken sammelte Jen den leeren Beutel ein. ,,Nein! Ich...", stammelte sie, während sie sich hektisch umsah. ,,Ich hätte dir auch einfach meins... nein, ich hab dich nicht vergiftet!" Glaubte er ihr das? Und was passierte jetzt? "Er wird doch davon nicht sterben, oder...?" Sie las sich erneut die Rückseite des Blutbeutels durch.

Dean hievte sich wieder hoch, diesmal schaffte er es, stehen zu bleiben. Schwankend hielt er sich an der Kommode fest, starrte Jen an und schüttelte leicht den Kopf. "Und w-weil ich dich nicht getötet habe tötest du mich?" knurrte er, verkrampfte sich und spannte die Schultern an. Der Blick seiner goldenen Augen schien die Dunkelhaarige zu durchbohren und wieder verspürte er leichten Durst - nach ihrem Blut. Er biss sich auf die Lippe, wobei seine spitzen Eckzähne praktisch aufblitzten. Hätte er die Kraft dazu, wäre er schon längst gegangen, nur ging das einfach nicht. "W... as willst du machen, wenn ich tot bin? Dein I-Image aufpolieren? Netter Einfall, Süße." Seine Stimme war etwas tiefer und drohender als sonst und auch sein Blick funkelte angriffslustig. Er wusste nicht, was dieses Mädchen konnte, er wusste lediglich, dass sie etwas konnte. Was es auch war, es war nicht gesund für Dean. Vampire vertrugen nicht viel, waren ausserdem nicht gut auf Silber zu sprechen, nur das Knoblauch-Gerede war reiner Schwachsinn, das Blut von Hexen dagegen tötlich. Vielsagend musterte er ihren verletzten Hals, dann ihr Handgelenk, woran sein Blick schließlich kleben blieb.

Jen schüttelte eifrig den Kopf. Wie sollte sie ihm klarmachen, dass sie ihn nicht vergiftet hat? "Und wenn doch...?" ,,Glaub mir, bitte...", flüsterte sie. Deans Wut hatte sie hart getroffen, doch das interessierte ihn jetzt wahrscheinlich nicht. "Vielleicht sollte er zum Schularzt gehen...?" Jen hatte nun Angst. Wirklich Angst. Angst, dass er sie voller Wut tötete. Angst, dass er starb. Angst, dass alles ans Licht kam, was vor wenigen Tagen angefangen hat. Vielleicht sollte sie sich einfach selbst umbringen? Das würde allen die Arbeit ersparen.

Dean schnaubte wieder, wenn auch unbewusst und fortwährend. Er schüttelte bei ihrer Bitte nur den Kopf, knurrte in das Schnauben hinein und trat wieder auf sie zu, während sein Blick zurück zu ihren Augen glitt, die verzweifelt glänzten. "Ich kann nicht a-anders." erklärte er knurrend und stieß sich von der Kommode ab. Er war lange nicht so schnell wie gewöhnlich, als er auf das Mädchen zuging, trotzdem griff er nach ihrem Handgelenk und drückte sie an die Wand. Er hielt sie fest, sah auf sie hinunter, da sie etwas kleiner als er war, dann runzelte er die Stirn. Er wollte sie nicht umbringen, war einfach nur süchtig - zumindest redete er sich das ein. "Ich würde es anders m-machen, wenn... es ginge..." Es klang fast wie ein Todesurteil, was es jedoch nicht war. "Nur einen Tropfen..." Fast vorsichtig drückte er seine kalten Lippen auf ihr blasses Handgelenk.

"Er glaubt mir wirklich nicht..." Jen wusste nicht, was sie noch tun sollte, damit er ihr glaubte, sicher war nur, dass er nicht mehr von ihr trinken durfte. Das war vielleicht eine letzte Möglichkeit, die ihr einfiel. Doch wie aufs Stichwort ging Dean schon auf sie zu, sein goldener Blick gierig, beinahe abhängig, als wäre Jen's Blut wie eine Droge für Vampire. Sie ging einen Schritt zurück, was aber auch nichts gebracht hätte, denn schon stand sie wieder mit dem Rücken zur Wand, einen Dean am Handgelenk klebend. Sie zögerte kurz, zitterte leicht. ,,Nein!", sagte sie dann und stieß Dean von sich weg. Normalerweise hätte das nichts gebracht, aber diesmal kam es unerwartet, für Jen ein Vorteil. ,,Mein Blut hat dich doch so gemacht, oder? DU redest doch die ganze Zeit von Gift, trotzdem vergiftest du dich selber! Wenn das wirklich stimmt, dann, dann..." Jen zögerte kurz, dann starrte sie Dean überzeugt an. ,,...dann gilt unsere Abmachung nicht mehr!"

Dean starrte Jen an, als sie ihn wegstieß und widersprach. "Was?" knurrte er und ließ die Fingergelenke knacken. Es sah fast aus, als hätte er dunkle Augenringe, doch war das fast unmöglich. "Du verstehst das nicht!" Er schüttelte aggressiv den Kopf, trat wieder auf sie zu und drückte sie mit mehr Kraft gegen die Wand. "Ich kann nicht anders." Er betonte jede einzelne Silbe des Satzes, verstärkte den Druck auf ihr Handgelenk und starrte sie vernichtend an.

Jen zuckte unter der Heftigkeit Deans Worte und seiner Kraft zusammen. ,,Ich will doch nur...", murmelte sie, verstummte aber unter seinem glühenden Blick. Er war offensichtlich besessen von ihr - von ihrem Blut. Er war wie ein wildes Tier, das in einem Käfig eingesperrt war und nur einmal im Monat was zu fressen bekommt - Nämlich das Beutetier, sie, zusammen mit dem Raubtier im Käfig, was es sich lange Zeit einteilen muss, bis es das Beutetier irgendwann doch vollkommen verschlingt, ganz egal, ob das Tier bereits verdorben ist, oder nicht. Aber seine Gesundheit machte ihr mehr Sorgen als ein paar Tropfen Blut. Er war jetzt schon vollkommen am Ende, noch ein bisschen mehr und vielleicht würde er sterben. Das durfte Jen doch nicht zulassen, immerhin war es IHR Blut. ,,Verdammt!", flüsterte sie und starrte Dean an. ,,Lass mich los, verdammt! LOS!!" Das letzte Wort brüllte sie, damit Dean auch wirklich verstand, wie ernst sie es meinte. Ob jemand etwas hörte, interessierte sie nicht mehr.